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Kommentar zur Zukunft von Thunderbird

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Gestern habe ich über die Pläne Mozillas geschrieben, die aktive Entwicklung an Thunderbird zurückzufahren und den Fokus auf andere Projekte zu legen. Bedeutet dies das Ende für Thunderbird? Im Folgenden versuche ich zu erörtern, wie ich persönlich die Situation sehe.

Diese Ankündigung von Mitchell Baker war für viele Leute überraschend und sofort wurde überall das Ende von Thunderbird konstatiert. In zahlreichen Diskussionen habe ich vor allem eine Frage herausgelesen: Was sind die Alternativen zu Thunderbird? Zu welchem Programm soll man wechseln, nachdem Thunderbird *tot* sei?

An dieser Stelle halte ich es für wichtig, die Fakten zu klären. Mozilla hat das Produkt Thunderbird nicht eingestellt. Bis einschließlich Thunderbird 17 werden wie gewohnt neue Major-Releases von Thunderbird erscheinen, dann soll das neue Release- und Governance-Modell greifen. Mozilla wird weiterhin zwei Versionszweige pflegen, eine normale und eine ESR-Version für Unternehmen. Für beide wird Mozilla weiterhin Sicherheits- und Stabilitätsupdates veröffentlichen, für beide wird weiterhin die komplette Infrastruktur bereitgestellt. Der (ganz) große Unterschied: Mozilla wird keine bezahlten Entwickler mehr dafür abstellen, Innovationen in die reguläre Version zu bringen. Das bedeutet aber nicht, dass Thunderbird keine Neuerungen mehr erhalten kann, was auch der Grund dafür ist, wieso es weiter zwei Versionszweige und nicht mehr nur noch ESR-Versionen geben wird. Die Verantwortung für neue Features wird an die Entwickler-Community übertragen. Dass das funktionieren kann, dafür möchte ich später ein Beispiel bringen.

Die entscheidende Frage ist nun: Was erwarte ich von einem E-Mail-Programm? Kann Thunderbird nicht alles, was ein guter E-Mail-Client können muss? Ich denke: Ja. Für die meisten der 20 Millionen Thunderbird-Nutzer kann Thunderbird alles. An den wirklich elementaren Funktionalitäten hat sich in den letzten Jahren nichts großartig geändert und wird es auch in den nächsten Jahren nicht. Die Mail-Protokolle sind bewährt und stabil. Solange es weiter Stabilitäts- und vor allem Sicherheitsupdates gibt, kann Thunderbird problemlos weitergenutzt werden. Auch in Zukunft.

Ein kurzer Rückblick: Welche Neuerungen hat Thunderbird in den letzten Monaten erhalten? Das waren tolle Dinge wie die Anbindung an Cloud-Dienste, Instant Messaging oder Arbeiten am neuen Theme. Das sind schöne Dinge, die ich gerne nutze und wovon ich mir mehr wünsche. Aber: Sie sind nicht elementar und gehen weit über das hinaus, was ein E-Mail-Client leisten muss.

Und damit komme ich wieder zu der Frage zurück, auf welches E-Mail-Programm man nun ausweichen sollte: Auf Thunderbird. Ich sehe das so: Wenn ich mit Thunderbird zufrieden bin, dann habe ich auch nach dieser Ankündigung keinen Grund, das E-Mail-Programm zu wechseln. Es wird weiter mit notwendigen Updates versorgt werden. Und wenn mir das irgendwann nicht mehr reicht und andere E-Mail-Programme das entscheinde Bisschen mehr an Innovation bieten, dann kann ich immer noch umsteigen. Aber es gibt keinen Grund, sich jetzt über alternative E-Mail-Programme Gedanken zu machen, wenn ich doch aktuell zufrieden bin.

Also alles super? Nein. Das möchte ich damit nicht sagen. Natürlich ist das für die Entwicklung von Thunderbird eine unschöne Sache. Thunderbird kann im Prinzip alles, was es können muss. Das war meine Aussage, zu der ich absolut stehe. Nichtsdestominder gibt es natürlich trotzdem noch zahlreiche Verbesserungspotentiale. Ein runderneuertes Adressbuch, ein richtiges Maildir als Berkeley-Mbox-Alternative, eine bessere GMail-Integration, eine Metro-Version, Verfassen von Nachrichten in einem Tab, Vereinigung der beiden Suchleisten, ein Attachment-Browser, URL-Vorschau, Profil-Recovery bei beschädigten Profilen, Zentralisierung aller Einstellungen inkl. Suchfunktion für Einstellungen, Home Tab, … Es fallen einem sicher noch mehr Dinge ein, wie man noch mehr aus Thunderbird herausholen kann, wenn man nur lange genug überlegt. Viele Dinge werden liegen bleiben, wenn Mozilla keine bezahlten Entwickler hierfür abstellt.

Aber das muss nicht heißen, dass wir keine dieser Dinge in zukünftigen Thunderbird-Versionen sehen werden. Wie bereits gesagt sind externe Kontributoren herzlich dazu eingeladen, zur Verbesserung von Thunderbird beizutragen. Und genau das ist eigentlich eine Sache, die längst passiert. So wird Thunderbird eine bessere GMail-Integration erhalten. So wird Thunderbird App Tabs erhalten. Das beides sind Google Summer of Code-Projekte und damit Beiträge, die von Nicht-Mozilla-Entwicklern kommen. Um ein bereits erfolgreiches Beispiel zu nennen: Kürzlich hat Thunderbird Instant Messaging-Funktionalitäten erhalten; IRC, Google Talk, Facebook, XMPP, Twitter. Konversationen werden gespeichert und können durchsucht werden. Man sieht den Online-Status seiner Kontakte. Man mag den Komplex Instant Messaging in Thunderbird gut oder schlecht finden. In jedem Fall ist es ein ziemlich großes Projekt. Auch wenn ein großer Teil letztlich „nur“ eine Portierung aus dem Instantbird-Messenger und Integration in Thunderbird war, so wurde diese Arbeit fast im Alleingang von Florian Quèze bewältigt, dem Entwickler von Instantbird. Er ist kein Thunderbird-Entwickler. Und damit handelt es sich bei diesem relativ großen Feature auch um einen Beitrag, der von Extern kam. Wenn auch natürlich „gementort“ und unterstützt von Mozilla-Entwicklern.

Das kann einem doch Hoffnung geben, dass es auch in Zukunft Neuerungen in Thunderbird geben wird, oder etwa nicht? Ich denke: Warten wir ab und schauen, was die Zukunft bringt. Anfang September wird Mozilla einen finalen Plan veröffentlichen. Die genauen Details, wie alles ablaufen wird, sind noch überhaupt nicht geklärt.

Dieser Artikel wurde von Sören Hentzschel verfasst.

Sören Hentzschel ist Webentwickler aus Salzburg. Auf soeren-hentzschel.at informiert er umfassend über Neuigkeiten zu Mozilla. Außerdem ist er Betreiber von camp-firefox.de, der ersten Anlaufstelle im deutschsprachigen Raum für Firefox-Probleme aller Art. Weitere Projekte sind firefox.agenedia.com, mozilla.de, firefoxosdevices.org sowie sozone.de.

14 Kommentare - bis jetzt!

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  1. schrieb am :

    Ich frag mich nur, warum die Dame sich ÜBERhaupt SO geäußert hat – ohne Not. Wenn ich mich recht erinnere, war das in den letzten Jahren so ein kleiner „Schlingerkurs“, wer was warum mit TB macht, nicht macht oder erzählt… 😕

    Ich bin überzeugt, wenn die das ein BISSchen geschickter gemacht hätten, dann würden mehr als 20 Mio. TB benutzen.

  2. Kalumba
    schrieb am :

    By the way: Sehr schöner Beitrag!

  3. schrieb am :

    Ich finde Webmailer (egal wie gut gemacht) für meine Zwecke nicht geeignet, da ich auch ohne Internet gerne noch was in alten Mails nachschaue. Gut, ich bin vielleicht ein Sonderfall, meine lokalen Mails belegen knapp 3GB 🙂

  4. schrieb am :

    Und vor allem sind Webmailer bei mehreren E-Mail-Konten ziemlich unpraktisch. 😉 Was das Nachschauen in alten Mails betrifft: Mein primärer Mail-Dienstleister Yahoo! hat eine miserable Suchfunktion. 🙂

    @Kalumba: Danke! 🙂

  5. schrieb am :

    Sehr guter Kommentar. Sehe ich genauso.

    Zu Webmail: Nicht für mich geeignet, da ich 5 Mail Accounts habe, von denen 3 aktiv benutzt werden. Zudem geht nichts darüber, offline suchen zu können. Auch ist zB meiner Meinung nach die Oberfläche von Gmail katastrophal, es fehlen essentielle Sortierfunktionen (man glaubt, dies mit der – zugegebnermaßen exzellenten – Suche obsolet zu machen).

    Zu Alternativen: Auf Windows gibts wenig, auf Linux einige, zum ersten Poster kann man Evolution ergänzen.

  6. Kisch
    schrieb am :

    Wenn es nach mir ginge könnte sich jemand darum kümmern, das sich E-Mails wenn sie schon in HTML versendet werden dem aktuellen Standard entsprechen.
    Dieses IE6 Frontpage Format ist ein Graus.

    Die wichtigsten Anliegen für mich wären CardDAV und .vcf als Kontakt Speicher möglich zu machen wie es in Lightning mit CalDAV und .ics funktioniert.
    Und natürlich das Bessere Adressbuch. Gibt es da vielleicht schon Bewegungen dazu? Ich würde mich sogar als Beta Tester zur Verfügung stellen und mir entsprechend mühe beim Bugreport geben.

  7. hlkh
    schrieb am :

    Wo findet man die Instant Messaging Funktionen. Verwende Ubuntu 12.04

  8. schrieb am :

    Hallo kisch,

    es gibt zumindest Planungen. Ich kann nur nicht sagen, ob das noch direkt von Mozilla umgesetzt werden wird oder nicht:
    https://wiki.mozilla.org/Features/Thunderbird/Modern_Address_Book

  9. schrieb am :

    Hallo hlkh,

    Dieses Feature ist standardmäßig noch deaktiviert, kann aber über Einstellungen > Erweitert > Allgemein > Konfiguration bearbeiten aktiviert werden, indem der Schalter mail.chat.enabled auf true gesetzt wird. Ab Thunderbird 15 sollte es standardmäßig aktiviert sein.

  10. Guido
    schrieb am :

    Hi Sören,
    weißt du zufällig ob Mozilla noch die Umsetzung des Australis-Designs für Thunderbird plant?

  11. schrieb am :

    Hallo,

    man ist ja schon gut dabei, was die Umsetzung betrifft und ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier noch einige Fortschritte in den nächsten Monaten geben wird.

  12. schrieb am :

    Übrigens, interessanter Fakt: Mehr als die Hälfte der Top10-Kontributoren von Thunderbird sind sowieso keine bezahlten Entwickler von Mozilla.

  13. GT
    schrieb am :

    Folgende Dinge die ich in Thunderbird vermisse und noch auf eine Verbesserung hoffe:

    [Bug 772379] Invite Attendees dialog: display further information for events displayed in the free/busy grid
    https://bugzilla.mozilla.org/show_bug.cgi?id=772379

    [Bug 764316] Lightning addressbook GUI implementation:
    https://bugzilla.mozilla.org/show_bug.cgi?id=764316

    [Bug 764344] calendar URL recognition in adressbook as a link which opens lightning new calendar dialog
    https://bugzilla.mozilla.org/show_bug.cgi?id=764344

  14. Dr. Satori
    schrieb am :

    …die Mail, welche ich tagtäglich erhalte, werden durch ein anderes Mailprogramm auch nicht besser. Stets der gleiche Schwachsinn…

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